Katja Dörner, 44 Jahre jung, gebürtige Westerwälderin, verheiratet, ein Kind. Studium der Politikwissenschaften, dann Referentin der grünen Landtagsfraktion NRW, seit 2009 Bundestagsabgeordnete für Bonn, stellvertretende Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion.
Leseratte, Schwimmerin, Karnevalistin, Gärtnerin, Köchin, Familienmensch.


Welchen Stellenwert hat die Bekämpfung von Kinderarmut für Sie?

Jedes Kind hat das Recht auf die Entfaltung seiner Talente und Potenziale, und jedes Kind hat das Recht auf einen gesunden Start ins Leben. In Bonn ist der Anteil der Kinder unter 18 Jahren in Haushalten mit SGB II-Bezug – laut aktuellen Zahlen der Bertelsmann Stiftung – zwischen 2014 und 2019 von 19 auf 19,8% gestiegen. Es ist anzunehmen, dass die Zahl, der von Armut betroffenen Kinder, durch die Corona-Krise leider noch weiter ansteigen wird. Ein Schwerpunkt meiner Arbeit im Bundestag liegt in der Stärkung von Kinderrechten und der Bekämpfung von Kinderarmut. In den letzten Jahren habe ich als kinder- und familienpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion unser Konzept für eine Kindergrundsicherung entwickelt, die durch eine automatische Auszahlung auch die versteckte Kinderarmut konsequent bekämpft. Auch als Oberbürgermeisterin von Bonn wird das Thema für mich im Fokus stehen.


Was sind aus Ihrer Sicht die drei wichtigsten Punkte/kommunalen Maßnahmen, um Kinderarmut zu bekämpfen?

In Bonn möchte ich in enger, kontinuierlicher Zusammenarbeit mit dem Runden Tisch Kinderarmut, mit dem ich auch den vergangenen Jahren einen guten Austausch hatte, folgende Maßnahmen ergreifen:

  • Start eines Modellprojektes, das Eltern eine komplett digitale Beantragung von kinder- und familienpolitischen Leistungen ermöglichen und diese automatisch auszahlen soll, um verdeckte Kinderarmut zu beseitigen (ähnlich dem erfolgreichen Modellprojekt in Bremen).
  • Erhalt des Bonn-Ausweises und organisatorische Erleichterung des Bezugs von Zuwendungen aus dem Bildungs-und Teilhabepaket.
  • Ausweitung des Modellprojektes Schulfrühstück und Start Modellprojekt Kindergesundheit.

 


Mit welchen Maßnahmen und Strategien werden Sie der materiellen Unterversorgung begegnen? Was wollen Sie insbesondere tun, um die materiellen Voraussetzungen für ein bedarfsgerechtes Wohnen, eine gesunde Ernährung, umfassende Bildung und Teilhabe junger Menschen und Familien zu sichern?

Die Bekämpfung von Kinderarmut hat viele Dimensionen. In Bonn ist es vor allem wichtig, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Dafür muss die VEBOWAG in städtischer Hand bleiben und ihre Eigenkapitalquote gesteigert werden; darüber hinaus werde ich die konsequente Umsetzung des Bonner Baulandmodells durchsetzen und durch das Instrument der Konzeptvorgaben erweitern. Wichtig ist mir, endlich die schon beschlossene Stadtentwicklungsgesellschaft in städtischer Hand auch einzurichten, die zusätzlichen bezahlbaren Wohnraum schaffen soll.

Darüber hinaus ist es mir wichtig:

  • den Bonn-Ausweis zu erhalten, das Modellprojekt Schulfrühstück auszuweiten und ein Modellprojekt Kindergesundheit zu starten.
  • ein Modellprojekt zu starten, dass Eltern eine komplett digitale Beantragung von kinder- und familienpolitischen Leistungen ermöglicht und diese automatisch auszahlt, um verdeckte Kinderarmut zu beseitigen.
  • organisatorische Erleichterung des Bezugs von Zuwendungen aus dem BuT.
  • Entwicklung neuer Beteiligungsformate für Kinder und Jugendliche.

Welche Maßnahmen soll die Stadt Bonn ergreifen, um die Gesundheit sozial- und bildungsbenachteiligter Kinder und Jugendlicher zu fördern?

Die Verhältnisse in Bonn müssen so gestalten werden, dass ein gesundes Leben für alle möglich wird. Dafür müssen die wir die Mittel und das Personal des Gesundheitsamtes aufstocken, z.B. für Schuleingangsuntersuchungen, Hilfen für Menschen mit psychischen Problemen, Frühen Hilfen zur Gesundheit und den Gesundheitsschutz für Kinder und Jugendliche. Zudem möchte ich ein Modellprojekt zur Förderung der Kindergesundheit starten.


Welche Schritte und Maßnahmen werden Sie ergreifen, um die Voraussetzungen für ein an den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen ausgerichtetes Lernen und Leben in Schulen und an außerschulischen Lernorten zu ermöglichen?

Ich möchte diverse, vielfältige und vielseitige Schulen schaffen, um allen gleiche Chancen zu ermöglichen. Schulen, an denen hoher Förderbedarf besteht, möchte ich besonders unterstützen, u.a. durch die Einstellung von mehr SchulsozialarbeiterInnen.
Es ist mir wichtig, SchülerInnen stärker in die Gestaltung ihrer Schulen mit einzubeziehen. Dazu gehört auch, den Schulraum so zu gestalten, dass er Lernort und Begegnungsstätte sein kann.

Den Ausbau der OGS werde ich mit Hochdruck vorantreiben, damit alle Kinder – für die dies gewünscht wird –  auch einen Platz bekommen. Die OGS-Plus werde ich ausbauen, da sie Schulen mit besonderem Unterstützungsbedarf gezielt unter die Arme greift.


Welche Schritte und Maßnahmen werden Sie ergreifen, um eine umfassende Teilhabe von Kindern und Jugendlichen in deren Sozialbereich und in zunehmendem Alter im gesamten Bereich der Stadt Bonn zu ermöglichen und sicher zu stellen? Wie wollen Sie insbesondere die Kinder-und Jugendarbeit und die Jugendsozialarbeit in Bonn stärker unterstützen?

Ich möchte für Kinder in Bonner Parks das Erleben und Erlernen von Natur ermöglichen und Spielplätze zu anregungsreichen Treffpunkten für junge Familien machen. Dafür sollen die Bonner Spielplätze modernisiert und auch Beschattungen eingeplant werden. Zusätzlich will ich mich für Wasser-Erlebnis-Spielplätze einsetzen und dafür, dass Naturerlebnis-Touren für Kinder, Familien und Jugendgruppen möglich gemacht werden.
Zudem werde ich den öffentlichen Raum neu gestalten, um ihm Aufenthaltsqualität für alle zu verleihen und Begegnungsstätten zu schaffen – u.a. durch Grüne Inseln, die zum Treffen und Verweilen einladen.
Kinder und Jugendliche sollen durch die Entwicklung neuer Beteiligungsformate stärker in die Stadtentwicklung und -gestaltung eingebunden werden.
Das gute und ausdifferenzierte Netzwerk an Beratungsstellen in Bonn möchte ich unbedingt erhalten und noch weiter stärken. Insbesondere die Netzwerkstrukturen, die Fachkräfte aus Jugendhilfe, Medizin, Jugendamt und dem Familiengericht zusammenbringen, sollen weiter gestärkt werden. Das Jugendamt muss für seine sensible Tätigkeit bei der Arbeit mit Familien, insbesondere im Bereich der HzE und Inobhutnahmen, personell besser ausgestattet werden.


Und wie wollen Sie die Teilhabemöglichkeiten insbesondere sozial- und bildungsbenachteiligter junger Menschen u.a. auch von Migrant*innen fördern und erweitern?

In dem ich mich auch weiterhin für die Grundlage von Integration einsetze: Die Beseitigung von Hemmnissen bei der Integration wie die Restriktionen beim Familiennachzug. Wer tagtäglich um das Leben seiner Kinder oder seines Ehepartners fürchten muss, kann sich schlechter auf die neue Gesellschaft einlassen und beispielsweise sich auf Algebra konzentrieren. Insgesamt müssen die  Chancen auf ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht gestärkt und das Staatsangehörigkeitsrecht liberalisiert werden. Ehrenamtlich engagierte Bürger*innen und zivilgesellschaftliche Organisationen haben in den vergangenen Jahren Enormes für die sprachliche, berufliche und soziale Integration von Zuwanderer*innen geleistet. Diese Leistung wollen wir ausdrücklich anerkennen. Wir wollen die Bürger*innen und Organisationen weiterhin tatkräftig durch die Einrichtung einer Koordinierungsstelle unterstützen. Für die Angebote dieser Organisationen (z.B. Sprachkurse, Beratung, Begegnung) sollen im Rahmen des Quartiersmanagement angemessene Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt werden.


Wie wollen sie so genannte „Schulverweigerer“, Schüler*innen ohne Abschluss und Migrant*innen gesellschaftlich (re)integrieren?“

Wir wollen insbesondere die Netzwerkstrukturen, die Fachkräfte aus Jugendhilfe, Medizin, Jugendamt und dem Familiengericht zusammenbringen, noch besser unterstützen. Das Jugendamt muss für seine sensible Tätigkeit bei der Arbeit mit den Familien, insbesondere im Bereich der Hilfen zur Erziehung, personell besser ausgestattet werden. Schulen mit Schüler*innen mit hohem Förderungsbedarf wollen wir deshalb mehr stärken und zuerst fördern.


Welche Maßnahmen wollen Sie ergreifen, um die Umsetzung aller Kinderrechte in Bonn zu verbessern?

Ich möchte Bonn als UN-Stadt zur Vorreiterin einer konsequenten Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention machen. Dazu gehört es auch, endlich die kommunalen Angebote, Planungen und Strukturen an die Kinderrechtskonvention anzupassen. Konkret möchten wir Kinder und Jugendliche und ihre Expertise für ihre Lebenswelt und Bedürfnisse stärker miteinbeziehen. Deshalb werde ich mich dafür einsetzen, dass gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen neue Beteiligungsformate entwickelt werden und bspw. ein Kinderrat und ein Jugendparlament mit eigenem Haushalt und Entscheidungskompetenzen eingerichtet werden. Zudem soll Bonn das Siegel „kinderfreundliche Kommune“ erwerben und die Stelle der Kinderbeauftragten gestärkt werden.


Wie wollen Sie die Landes- und Bundesregierung zu größerer Unterstützung anregen, um zum einen die massiv bestehende Kinderarmut ins Bewusstsein zu rufen als auch eine Bekämpfung dieser zu forcieren?

Ich möchte in Bonn vormachen, dass die Bekämpfung der Kinderarmut möglich ist. Ich will zeigen, dass endlich auch auf Bundes- und Landesebene zur die Bekämpfung zur Chefinnensache gemacht werden muss. Verdeckte Kinderarmut werde ich abbauen: Durch die Einführung eines Modellprojekts ähnlich wie in Bremen. Eltern können dann einfach, umfassend und digital kinder- und familienpolitischen Leistungen beantragen und automatisch ausgezahlt bekommen. Organisatorische Hürden beim Bezug von Leistungen nach dem BuT werde ich abbauen. Zudem werde ich das Modellprojekt Kinderfrühstück ausweiten und ein Modellprojekt zur Kindergesundheit starten.