„Ich bin 39 Jahre alt und lebe mit meiner Frau und meinen beiden Töchtern in der Bonner Nordstadt. Beruflich bin ich als Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Bonn und Koblenz tätig. Kommunalpolitisch engagiert bin ich bereits seit meiner Schulzeit in Zülpich, zunächst bei einer dortigen Jugendliste. Später kam ich wegen des Studiums nach Bonn und wurde hier heimisch. Dem Stadtrat gehöre ich seit 2009 als Fraktionsvorsitzender der LINKEN an. Daneben engagiere ich mich im Vorstand des örtlichen Mieterbundes und als Vorsitzender des Entwicklungshilfevereins Nicaragua-Hilfe Bonn.


Welchen Stellenwert hat die Bekämpfung von Kinderarmut für Sie?

Bonn ist eine reiche Stadt. Dass hier annähernd 20.000 Kinder und Jugendliche leben, bei denen das elterliche Einkommen unter der Armutsgrenze liegt, halten wir als LINKE für inakzeptabel, deshalb ist für mich die Bekämpfung von Kinderarmut in Bonn eins der drängendsten Probleme überhaupt. Klar ist allerdings auch, dass wesentlicher Grund für Kinderarmut die Armut ihrer Eltern, des Elternteils oder Erziehenden ist – sie isoliert zu betrachten, ist also wenig sinnvoll. Und wir sollten auch Kinderarmut nicht nur auf die rein materiellen Verhältnisse reduzieren: Wenn man die kulturellen und sozialen Verhältnisse und die psychische Dimension miteinbezieht, sieht man, dass das Problem sogar noch größer ist. Neben der Bekämpfung der materiellen Armut brauchen wir also in Bonn dringend zum Beispiel größere Anstrengungen im Bildungsbereich und den Ausbau der Kinderbetreuung.


Was sind aus Ihrer Sicht die drei wichtigsten Punkte/kommunalen Maßnahmen, um Kinderarmut zu bekämpfen?

In Bonn ist der Bonn-Ausweis eines der wichtigsten Instrumente, um armutsbedingte Benachteiligungen durch Preisermäßigungen oder kostenfreie Nutzung von Angeboten aufzufangen. Als erstes wollen wir als LINKE den Bonn-Ausweis deshalb zu einem umfassenden „Beteiligungspass“ ausbauen. Der Ausweis soll durch Anhebung der Einkommensgrenze verstärkt auch Geringverdiener*innen offenstehen. Der Ausweis muss dann auch direkte kindbezogene Unterstützungsleistungen beinhalten. Ein ermäßigtes Schülerticket für den ÖPNV für Bonn-Ausweisinhaber*innen haben wir zum Beispiel schon in diesem Jahr in den Ausschüssen beantragt, um freiwerdende Mittel im BuT-Bereich nicht verfallen zu lassen – das wurde aber leider von der Ratsmehrheit nicht unterstützt.

 

Der zweite Punkt ist die Frage der Schaffung von sozialem Wohnraum. Alleine während der letzten 10 Jahre hat die Stadt Bonn über 3.000 geförderte Wohnungen verloren, weil sie aus der Belegungsbindung fielen. Dass die Mieten da immer weiter steigen und manche Familien dadurch sogar in die Armut rutschen, ist fast schon zwangsläufig die Folge. Das kann man aber ändern: Ich will strengere Vorgaben für Investoren durch eine 50-Prozent-Quote für geförderten Wohnungsbau bei Entwicklungsvorhaben mit 8 oder mehr Wohneinheiten und eine Bindungsdauer von mindestens 40 Jahren. Außerdem braucht Bonn viel mehr öffentlichen und genossenschaftlichen Wohnungsbau. Die Stadt muss zudem die Grenzen für die Anerkennung angemessener Mieten im Rahmen der Kosten der Unterkunft weiter anheben, um Verdrängung zu bekämpfen.

 

Außerdem finde ich – in Übereinstimmungen mit den Forderungen des RTKA -, dass wir dringend einen Ausbau und eine stärkere Unterstützung der bestehenden Hilfsangebote für Familien zum Beispiel in der Sozial- oder Erwerbslosenberatung brauchen, und auch das Quartiersmanagement möchte ich über die bestehenden Angeboten in den Stadtvierteln hinaus ausweiten. Freie Träger leisten hier wertvolle Beiträge zur Bekämpfung von Kinderarmut in Bonn, das muss die Stadt honorieren, das darf nicht unter Haushaltsvorbehalt stehen.

 


Mit welchen Maßnahmen und Strategien werden Sie der materiellen Unterversorgung begegnen? Was wollen Sie insbesondere tun, um die materiellen Voraussetzungen für ein bedarfsgerechtes Wohnen, eine gesunde Ernährung, umfassende Bildung und Teilhabe junger Menschen und Familien zu sichern?

Was den Bereich des Wohnens angeht, habe ich unsere Vorstellungen schon bei der vorangehenden Frage erläutert. Hier hat sich in im letzten Jahrzehnt schwarz-grüner Zusammenarbeit in Bonn viel zu wenig getan, das müssen wir jetzt angehen. In Sachen Ernährung geht es uns als LINKEN aber ebenfalls viel zu langsam: Wir wollen das bisher auf einige Schulen beschränkte Projekt eines kostenfreien Schulfrühstücks ausweiten, damit kein Kind mehr hungrig in die Schule kommen muss. Wir haben als Stadt auch die Möglichkeit, mit höherem Anteil an Lebensmitteln aus biologischer und regionaler Erzeugung für eine gesunde Ernährung in Schulen und Kitas zu sorgen. Wir haben uns deshalb in unserem Programm das Ziel gesetzt, den Anteil kontrolliert biologisch erzeugter Lebensmittel aus regionaler Erzeugung bei der Mittagessenversorgung in Kitas und Schulen bis zum Jahr 2025 auf 50 % und bis zum Jahr 2035 auf 100 % zu steigern. Wir unterstützen auch die Gründung eines Ernährungsrats für Bonn ausdrücklich – hier können zusätzlich Konzepte entwickelt werden, um zu einer fairen und ökologischen Ernährungspolitik für alle zu kommen.

 

Was die Bildung und Teilhabe angeht, sollte die Stadt nicht die Hände in den Schoß legen und abwarten, bis sich hier auf Landes- oder Bundesebene etwas tut, denn wie wir in den letzten Jahren gesehen haben, bewegt sich hier nur sehr langsam etwas – wenn überhaupt. Auch mit der Entbürokratisierung der Bewilligung der Mittel für Bildung und Teilhabe ist es leider immer noch nicht weit her. Hier muss die Stadt alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um die Abrufung dieser Gelder für betroffene Familien so einfach wie möglich zu machen und nicht darauf warten, ob andere Städte hier Lösungen finden. Im Übrigen ist durch Studien belegt, dass die Mittel für eine echte Teilhabe in vielen Bereichen nicht ausreichend sind – hier sollte die Stadt dann entsprechend aufstocken. Wir haben das zum Beispiel für Vereinsmitgliedschaften in Sportvereinen und die damit verbundenen weiteren Kosten für Ausstattung in der laufenden Ratsperiode beantragt.


Welche Maßnahmen soll die Stadt Bonn ergreifen, um die Gesundheit sozial- und bildungsbenachteiligter Kinder und Jugendlicher zu fördern?

Das ist für mich eine Frage, die nicht zuletzt auch die Stadtentwicklung berührt. Wir müssen die Stadtteilentwicklung integrativ und inklusiv ausrichten. Das heißt: infrastrukturelle Defizite angehen oder gar nicht erst entstehen lassen. Das gilt auch für die Gesundheitsvorsorge. Wir brauchen ausreichend ärztliche Angebote in den Vierteln. Die kinderärztliche Versorgung in Tannenbusch ist zum Beispiel unzureichend. Im Nachhinein ist das nur noch schwer zu beheben. Die Förderung zum Beispiel von Sportvereinsmitgliedschaften benachteiligter Kinder hatten wir bereits in der laufenden Ratsperiode erfolglos beantragt. Hier gibt es im Sinne der Gesundheitsförderung noch mehr, was die Stadt machen könnte: zum Beispiel die Bereitstellung von frei zugänglichen Sportmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche – wir brauchen auch mehr Bolzplätze gerade in den Vierteln, wo es zurzeit an solchen Angeboten fehlt: Das ist genau da, wo in Bonn die meisten sozial benachteiligten Kinder leben. 


Welche Schritte und Maßnahmen werden Sie ergreifen, um die Voraussetzungen für ein an den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen ausgerichtetes Lernen und Leben in Schulen und an außerschulischen Lernorten zu ermöglichen?

Gute Bildung ist für mich die Voraussetzung für soziale und politische Teilhabe. Die wichtigste Aufgabe der Bildungspolitik ist daher, die schulische Inklusion und Integration zu fördern. Die Grundschule hat eine Schlüsselfunktion, nicht nur da sie die Aufgabe hat, allen Kindern mit verschiedensten Hintergründen aus Kita oder Elternhaus erste Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln. Hier müssen die Kinder auch auf die Anforderungen der weiterführenden Schulen vorbereitet werden. Deshalb sollten wir hier für ein nach den Bedürfnissen ausgerichtetes Lernen differenzieren: In Stadtteilen, in denen vermehrt Sprachdefizite in der Grundschule beobachtet werden oder Armut stärker verbreitet ist, dürfen maximal 25 Kinder pro Klasse im Einklang mit den Ausführungsbestimmungen des Schulgesetzes unterrichtet werden. Auch die OGS-Angebote müssen wir dringend weiter ausbauen und auch bei den größten (sozialen) Bedarfen Schwerpunkte setzen.

Was die weiterführenden Schulen als Lebens- und Lernort angeht, so lehnen wir als LINKE das hochgradig selektive dreigliedrige Schulsystem ab und wollen perspektivisch eine Schule für alle. Damit soll nicht nur die sozial ungerechte Selektion verhindert, sondern auch ein Beitrag zum sozialen Zusammenhalt geleistet werden. Ein Ziel in Bonn sollte deshalb der Ausbau der Gesamtschulplätze, insbesondere im Bonner Westen sein; zugleich sollen nicht nur Hauptschulen, sondern auch Gymnasien und Realschulen in Gesamtschulen umgewandelt werden. Nicht zuletzt tragen auch Schulen und Bildungseinrichtungen in einem guten baulichen Zustand zu einer guten Lernatmosphäre bei. Deshalb müssen wir den Sanierungsstau bei der Bildungsinfrastruktur endlich anpacken.


Welche Schritte und Maßnahmen werden Sie ergreifen, um eine umfassende Teilhabe von Kindern und Jugendlichen in deren Sozialbereich und in zunehmendem Alter im gesamten Bereich der Stadt Bonn zu ermöglichen und sicher zu stellen? Wie wollen Sie insbesondere die Kinder-und Jugendarbeit und die Jugendsozialarbeit in Bonn stärker unterstützen?

Ich finde, Kinder und Jugendliche müssen zukünftig in unserer Stadt besser beteiligt werden. Für uns als LINKE ist die direkte Beteiligung junger Menschen an den kommunalen Entscheidungsprozessen notwendig, um dauerhaft eine attraktive Stadtentwicklung zu gewährleisten. Dazu soll Bonn nach unseren Vorstellungen am Programm „Kinderfreundliche Kommune“ teilnehmen und den über das Programm entstehenden Aktionsplan umsetzen. Wir fordern zudem konkret, dass der Kinder- und Jugendring mit ausreichenden finanziellen Mitteln ausgestattet wird, und dass die Stadt Jugendverbänden und -gruppen unkomplizierte Hilfestellungen bietet, auch bei der Beantragung von Fördermitteln. Hier existiert beim Jugendamt zu viel Bürokratie, was gerade auf junge Menschen sehr abschreckend wirkt und Teilhabe eher verhindert.

Die Jugendsozialarbeit stellt einen wichtigen Baustein für die soziale Integration von Kindern und Jugendlichen dar, auch was die Eingliederung in die Arbeitswelt angeht. Hier sollte die Stadt bestehende Angebote nach Möglichkeit ausweiten und verstetigen. Das gilt zum Beispiel für die Schulsozialarbeit, die als ständiges Instrument auch mit kommunalen Mitteln dauerhaft erhalten und ausgeweitet werden muss – selbst wenn das Land hier in der Zukunft weniger Unterstützung gewähren sollte.


Und wie wollen Sie die Teilhabemöglichkeiten insbesondere sozial- und bildungsbenachteiligter junger Menschen u.a. auch von Migrant*innen fördern und erweitern?

Um allen Kindern gleiche Bildungschancen zu eröffnen, muss hier meiner Ansicht nach das Angebot vorschulischer Sprachförderung deutlich erweitert werden. Dabei müssen die Hilfsangebote deutlich früher als im vierten Lebensjahr beginnen. Wir werden uns aktiv für die Fortsetzung und flächendeckende Durchführung von Sprachförderprogrammen – auch unter Einbeziehung der Eltern (wie es z.B. der Känguru-Verein für frühkindliche Bildung e. V. für Kinder mit Migrationshintergrund konzipiert hat) – einsetzen. Für Geflüchtete leisten auch Initiativen wie AsA wertvolle Beiträge zur Bildungsgerechtigkeit, was auch die Stadt endlich mit entsprechender finanzieller Unterstützung aus dem Haushalt anerkannt hat. Hieran gilt es mit den Trägern und Initiativen weiter zu arbeiten. Aber die Stadt kann und sollte auch direkt eingreifen durch Schaffung von mehr Stellen für Sozialpädagog*innen, um die pädagogische Kompetenz an den Schulen insgesamt zu verbessern. Auch Angebote für Jugendliche in der Ausbildung speziell mit Migrationshintergrund zur Nachqualifizierung sind ein Weg, den wir weiter ausbauen sollten, um hier Teilhabemöglichkeiten zu erweitern.


Wie wollen sie so genannte „Schulverweigerer“, Schüler*innen ohne Abschluss und Migrant*innen gesellschaftlich (re)integrieren?“

Die wirkungsvollste Maßnahme wäre hier, dass die Stadt durch den Aufbau von kommunalen Präventionsketten versucht zu verhindern, dass Brüche in der Bildungsbiografie überhaupt erst entstehen. Man sollte also versuchen, lebenslaufbegleitende Unterstützung zu gewähren, die nicht beim Übergang von der einen auf die andere Station abbricht. Die Stadt sollte meiner Meinung nach in den Aufbau solcher Netzwerke investieren, damit es zu solchen Situationen gar nicht erst kommt. Aber auch unser ungerechtes Schulsystem mit den bekannten Problemen von hoher Selektion und Exklusion von Jugendlichen trägt sicher eine Mitschuld. Zwingende Voraussetzung sowohl für präventive Maßnahmen als auch für den Umgang mit Schulverweigerern ist aber auf jeden Fall das entsprechend geschulte sozialpädagogische Personal, in das die Stadt investieren muss.


Welche Maßnahmen wollen Sie ergreifen, um die Umsetzung aller Kinderrechte in Bonn zu verbessern?

Die Bürgerstiftung Bonn hat hier mit ihrer „Initiative Kinderrechte“ in den letzten beiden Jahren an sieben Grundschulen konkrete Maßnahmen entwickelt, um die Kinderrechte mit Leben zu füllen. Wichtig ist sicherlich zuallererst, das Wissen über die eigenen Rechte auch den Kindern zu vermitteln – denn nur wer die eigenen Rechte kennt, kann sie auch aktiv einfordern! Projektwochen in allen Bonner Grundschulen zum Thema Kinderrechte fände ich deshalb eine gute Idee. Als Stadt sollten wir das tatkräftig unterstützen.

Wie wir ansonsten eine stärkere Beteiligung von Kindern und Jugendlichen erreichen könnten, habe ich unter Frage 6) bereits versucht zu skizzieren. Besonders wichtig ist mir außerdem das besondere Recht von Kindern mit Beeinträchtigungen auf Förderung – um zum Beispiel in der Schule sicherzustellen, dass Kinder mit Behinderung gleichberechtigt an allen Sportaktivitäten teilnehmen können. Dafür brauchen wir natürlich auch die baulichen Voraussetzungen, die angesichts des Bonner Sanierungsstaus alles andere als gegeben sind. 


Wie wollen Sie die Landes- und Bundesregierung zu größerer Unterstützung anregen, um zum einen die massiv bestehende Kinderarmut ins Bewusstsein zu rufen als auch eine Bekämpfung dieser zu forcieren?

Kinderarmut in Bonn werden wir allein durch kommunale Maßnahmen nicht beseitigen können, denn die Beseitigung des ungerechten Hartz-IV-Systems oder die Einführung einer Kindergrundsicherung kann nicht im Stadtrat beschlossen werden. Wir sollten hier aber als Kommune – zum Beispiel wie geschildert in der Bewilligung der BuT-Mittel – notfalls auch in die Auseinandersetzung mit den anderen föderalen Ebenen gehen, um deutlich zu machen, dass die bisherigen Anstrengungen alles andere als ausreichend sind. Rücksicht auf eigene Parteifreunde ist hier unangebracht! Auch das gemeinsame Vorgehen mit anderen Kommunen wäre hier wünschenswert – wir haben in der Frage der zusätzlichen Aufnahme von aus Seenot geretteten Flüchtlingen gesehen, dass das zumindest bundesweite Aufmerksamkeit für ein Thema erzeugt, auch wenn es in diesem Fall leider noch kein grundsätzliches Umdenken gab. Wir dürfen aber den Kampf gegen bestehende strukturelle Ungerechtigkeiten, wie hier bei der Kinderarmut, niemals aufgeben.